Patentöchter: Im Schatten der RAF. Sachbuch.
Julia Albrecht, Corinna Ponto, KiWi, März 2011

Patentöchter

Zwei Männer treffen sich kurz nach dem Krieg. Beide studieren Jura, sie werden Freunde, gründen Familien und machen im Wirtschaftswunder Karriere. Viel Karriere, beide gehören zur obersten Etage der Adenauerzeit. Einer der beiden wird Vorstandssprecher der deutschen Bank, berät den Bundeskanzler. Der andere leitet eine bekannte Hamburger Kanzlei und hat eine Tochter, die in den Siebzigern mit dem Vater und der ganzen Gesellschaft im Clinch liegt.

Das wäre alles nicht weiter bemerkenswert, solche Geschichten waren für diese Jahre typisch.

Aber die Tochter, Susanne Albrecht, geht zur RAF und ermordet mit zwei Komplizen den Freund ihres Vaters. Die Freundschaft der beiden Familien zerbricht daran, dreißig Jahre gibt es keinen Kontakt mehr. Der Vater von Susanne Albrecht stirbt, die Frau des Opfers auch.

Doch die Schwester Susanne Albrechts sucht jetzt den Kontakt zu der Tochter des Opfers. Daraus entstehen Briefe, sie erzählen sich, wie ihre Familien mit den Ereignissen umgingen. Die Pontos flohen in die USA, Julia Albrecht durfte viele Jahre die Fotos ihrer Schwester auf den Fahndungsplakaten bewundern. Freunde hatten Hemmungen, mit ihnen über die Ereignisse zu sprechen.

Wie erleben die Opfer die Folgen eines terroristischen Mordes? Wie die Familie die Tat eines Familienmitgliedes, eine Tat, die sie nicht billigen, begangen durch jemand, den sie lieben?

Das schildert das Buch eindrücklich. Erstmals wird hier die Geschichte der Opfer erzählt. Auch [[ASIN:349225263X Für die RAF war er das System, für mich der Vater: Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus]]konnte dies nicht richtig darstellen. Wie sehr Schweigen beide Familien bestimmt. Nicht die Täter schweigen, sondern die Opfer. Das war auch im dritten Reich lange Zeit so, kaum ein General, der nach dem Krieg nicht seine Memoiren schrieb und alle Schuld von sich wies. Kaum ein Opfer für das sich jemand interessierte oder das seine Geschichte erzählen konnte oder wollte.

Aber Julia Albrecht und Corinna Ponto erzählen auch vieles mehr aus der Geschichte. Über den Prozess gegen Susanne Albrecht, über den Tathergang, der letztendlich nie vollständig geklärt wurde. War es eine fehlgeschlagene Entführung oder von vorneherein der Mord geplant?

Manche Deutungen von Corinna Albrecht sind verständlich, überzeugen mich aber nicht. Sie hat die Unterlagen der Stasi durchgesehen, erstaunlich, wieviel sich dort über die RAF findet. Heute wissen wir, dass die Stasi die Raf duldete, zeitweilig sogar ausbildete. Die Akten des BKA sind leider immer noch nicht freigegeben, auch dort bleiben Fragen offen. Der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Buback schrieb ein Buch über seinen Verdacht, dass das BKA in der Sache seine Finger drin hatte. Tatsächlich gibt es da noch viel, was wir nicht wissen.

Aber stimmt es, was Corinna Ponto sagt, dass die RAF noch lange nicht aufgeklärt sei? Dass Baader, Meinhof und Esslin nur Marionetten an den Fäden der Geheimdienste, der Stasi waren?

Dafür sehe ich keinerlei Anzeichen. Die RAF hat getan, was sie tat, aus eigenem Antrieb. Sie wollte terrorisieren und sie hat terrorisiert. Sie wollte morden und sie hat gemordet. Dass diverse Geheimdienste ihre Finger drin hatten oder haben wollten, klingt nach den heutigen Erkenntnissen sehr plausibel, dass viele dieser Finger noch versteckt sind und "ich wars nicht" schwören, auch. Aber dass die RAF quasi entschuldigt werden muss, weil sie ja "nur" an den Fäden mächtiger Organisationen hing, scheint mir sehr unglaubwürdig.

Auch wenn Verschwörungstheorien natürlich sehr beliebt sind: Wir wissen viel über die RAF, wir kennen ihre Bekennerschreiben, wir kennen die heutigen Aussagen von RAF-Mitgliedern, die das immer noch verteidigen. Wir wissen, wie sie tickten, wie sie ticken. Dazu bedarf es keiner Geheimdienste.

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