Die Verteidigung der Missionarsstellung. Roman.
Wolf Haas, Hoffmann und Campe 2012

Die Verteidigung der Missionarsstellung

»Verrate mir bitte nicht deinen Namen«, sagte Benjamin Lee Baumgartner zu der freundlich aus ihrem kleinen Imbisscontainer auf ihn herabblickenden Burgerverkäuferin.
»Ich finde, wenn man den Namen von einem Menschen weiß, ist der Zauber schon zerstört.«
Eine halbe Stunde hatte er ihren Stand umkreist, war am Greenwich Markte kreuz und quer gegangen und hatte darüber nachgedacht, wie er diese Erscheinung im Wunschhineinsprech- und Beefburgerherausreichfenster durch entwaffnendes Ansprechen auf ihre Realität überprüfen könnte.
»Ich hatte nicht vor, dir meinen Namen zu sagen«, antwortete sie.

Benjamin Lee ist skrupelkrank und Halbindianer. Zumindest glaubt er das
Er ähnelt auch dem Häuptling aus »Einer flog über das Kuckucksnest«. Dem sieht er nämlich ähnlich. Obendrein ist er ein Gesundheitsrisiko.
Immer, wenn er sich verliebt, bricht eine neue Seuche aus. Die Kuhekrankheit, wie eine Engländerin sie charmant nennt, die Vogelseuche, die Schweinegrippe. Und dann auch noch diese Ehecseuche, die aus Sprossen stammt. Die hat Benjamin sortiert.

Ein Buch von Wolf Haas kann man nicht realistisch besprechen. Wolf Haas, das ist Karl Valentin mit Loriot vermischt und vergessen Sie nicht die Prise Kafka.
Realistisches, ernsthaftes Erzählen sollte man also nicht erwarten. Angeblich soll das Ernsthafte ja typisch deutsch sein, betonen die typisch Deutschen immer und vergessen die lange Ahnenreihe in der deutschen Literatur, der die Ernsthaftigkeits- und Realitätsgene völlig abhandengekommen sind.
Die Missionarsstellung sollte man also nicht ernst nehmen. Der Autor erzählt sie uns auch gar nicht, jedenfalls nicht so, wie man eine Geschichte erzählt. Er nutzt jede Gelegenheit, um davon abzuweichen. Trotzdem kommt er am Schluss punktgenau im Ziel an. Auch wenn er oft nur über die Geschichte erzählt. So muss sich der Leser die Geschichte selbst aus dem zusammensetzen, was der Autor dem Leser in Bruchstücken mitteilt. Dass Wolf Haas selbst drin auftaucht, wen wundert das noch?
Schon in dem »Wetter vor fünfzehn Jahren« wurde nicht die Geschichte erzählt, sondern über die Geschichte geredet. Und immer, wenn der Leser glaubt: Aha, jetzt habe ich es kapiert, kommt es erstens anders und zweitens sowieso. Deshalb ist auch der Halbhopi ... aber nein, das erzähle ich jetzt besser nicht.
 Das gehört nämlich zu dessen Lebenslüge. Lebenslügen haben Haas` Figuren immer im Übermaß. Im Buch werden sie erst nach und nach enthüllt. Außerdem macht sich der Autor über Literatur lustig. Jedenfalls die Literatur, die Beschreibungen von Orten und Landschaften überall einfügen muss, weil sie glaubt, das sei literarisch. Auch wenn es besser wäre, wenn sie es nicht täte. Wolf Haas (der Wolf Haas im Buch, nicht der Wolf Haas, der das Buch geschrieben hat) setzt in seinem Text immer die passenden Merker. [HIER NOCH LONDON ATMOSPHÄRE EINBAUEN. LEUTE. AUTOS. HÄUSER.].
Manchmal fährt er auch Fahrstuhl. Der Text meine ich, eng gepackt fährt er Seite für Seite nach unten.
Womit ich bei dem Problem des Buches angekommen bin. Diesmal übertreibt er ein wenig. Der Text im Fahrstuhl ist originell, aber muss man das über viele Seiten ausdehnen? Dass immer auch geschrieben steht, was der skrupelkranke Benjamin sagen möchte, sich aber nicht traut, ist anfänglich witzig und erhellend. Nach einiger Zeit nervt es, der Leser hat es längst kapiert. So manches in dem Buch wirkt übertrieben, weniger wäre mehr gewesen.
Weswegen es einen gespaltenen Eindruck bei mir hinterlässt. Skurril, originell, das ist auch dieses Buch. Aber an mancher Stelle wirkt es maniriert. Die Qualität des Wetters vor fünfzehn Jahren erreicht es deshalb nicht.

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