Fortunas Flug. Fantasy.
Victoria Schlederer, Heyne, März 2012

Fortunas Flug

»Alin Vasilescu hatte indessen die beiden Degenstücke sorgfältigtig auf dem Altartisch abgelegt und war an dem Pater vorbei die beiden Stufen hinab ins Kirchenschiff getreten, ohne auch nur einen Blick auf das unglückliche Mädchen, das bis vor wenigen Minuten seine Braut gewesen war, zu werfen.
»Ich bin«, erklärte er mit volltönender Tenorstimme, »eine Schande. Eine Schande für meine Familie, meinen Namen, mein Regiment«, und klang dabei unbestreitbar zufrieden.
»Ja, das bist du allerdings«, murmelte der Gigant zu meiner Rechten. Schweißperlen standen ihm auf der breiten Stirn.
»Ich bin eine Schande«, wiederholte Oberleutnant Vasilescu. »Und das Spektakel hier erkläre ich für beendet.« Mit diesen Worten wirbelte er auf dem Absatz herum und stürzte ins Freie, gefolgt von einem der Trauzeugen und einigen anderen Kameraden, die wohl berechtigterweise fürchten mochten, die Schande des Regiments wolle sich Unheil antun. «

Dass ein Bräutigam vor dem Altar erklärt, dass er die Braut nicht ehelichen wolle, ist ungewöhnlich, dass anschließend ein Luftschiffkonstrukteur Selbstmord verübt, ein gefundenes Fressen für die Klatschkolumnistin Stella Schönthal. Doch statt einfach den Skandal zu schildern, wie es ihr Chefredakteur will, untersucht sie den Selbstmord und fragt sich und ihre Leser: War es wirklich Selbstmord?

Damit gerät die junge Dame ins Visier staatlicher Organisationen, die uns der Geschichtsunterricht bisher vorherenthalten hat. Das Büro für okkulte Angelegenheiten, vertreten durch den Agenten Graf Trubic, der eigentlich im Moment gar kein Agent ist, aber irgendwie doch beauftragt, spricht die junge Dame an, die sich bisher mit Geschichten aus der k.u.k. Prominenz und als Gesellschafterin einer alternden Kokotte über Wasser hielt. Bald stellt sich heraus, dass der Konstrukteur an einem neuen Luftschiff arbeitete, der Fortuna, die neben den üblichen Eigenschaften eines Luftschiffes auch einige unübliche schwarzmagische aufweist, die es aber vor dem Generalstab zu verbergen gilt; Fräulein Schönthal entdeckt, dass sie Spiegel durch Willenskraft zerbrechen kann, wird von einem Magietheoretiker in Magie unterrichtet, der unglücklicherweise in den Körper eines Fischotter verbannt wurde und da ist noch der Prager Baron, der so unverschämt gut aussieht und ebenfalls Agent mit Lizenz zum Okkulten ist.

Allein durch die Sprache schafft die Autorin es schon, uns ins Wien der Jahrhundertwende zurückzuversetzen; mit seiner Dekadenz; seinen Offizieren und Dandys, Kokotten und Adligen; den politischen Spannungen in dem VIelvölkerstaat, stellt uns eine Vielzahl eindrücklicher Figuren vor, von der kecken, gleichzeitig aber unsicheren Klatschkolumnistin über den Dandy Graf Trubic, der ein dunkles Geheimnis mitschleppt bis zu dem Dienstmädchen Chi-Chi, das ein fescher Offizier benutzt, um seinen Vater zu ärgern.

Ein wenig gemütlich geht es schon zu, wienerisch eben, aber wie es so mit der wienerischen Gemütlichkeit ist: Man darf ihr nicht trauen. So bietet uns die Geschichte immer wieder neue Überraschungen, verwickelt die Autorin uns in immer neue Rätsel, versteht es aber, die Fäden in der Hand zu behalten, mit denen sie uns umgarnt.

„Imperium“ von Christian Kracht fällt mir da ein, der den Leser ebenfalls durch seine Sprache in die Zeit der Jahrhundertwende - in dem Fall des wilhelminischen Kolonialreichs - zurückführt, auch wenn Fortunas Flug natürlich eine ganz andere Geschichte ist, viel mehr auf Handlung und Personen bezogen und von daher einfacher zu lesen, aber keineswegs inhaltsleer. Wie aber beide Bücher durch Sprache eine vergangene Zeit lebendig werden lassen, ist mehr als eindrucksvoll.

Fortunas Flug ist jedenfalls eine spannende Abenteuergeschichte; eine urban Fantasy und gleichzeitig ein historischer Roman mit viel Zeitkolorit. Lesenswert.

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