Der diskrete Charme der DDR. Sachbuch.
Hubertus Knabe, Ullstein, November 2002

Der diskrete Charme der DDR

Hubertus Knabe hat sich der Mühe unterzogen, die noch vorhandenen Unterlagen über Stasi Mitarbeiter im Westen zu sichten und zu beschreiben, wie die Stasi mit tausenden von IM versuchte, Informationen "abzuschöpfen" und die Öffentlichkeit der Bundesrepublik zu beeinflussen.

So gibt das Buch eine gute Übersicht über Anwerbung von IMs, Taktiken, um Informationen abzuschöpfen und Versuche, mit "Desinformation" die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Dass die DDR in den Siebziger und Achziger Jahren nicht mehr so negativ gesehen wurde, wie in den Fünfzigern, sei, so die zentrale These des Buches, auf diese Aktionen der Stasi zurückzuführen. Doch stimmt das? Immerhin diente die "sogenannte DDR" in den Fünfzigern vor allem auch dazu, jede abweichende Meinung bereits im Vorfeld zu ersticken. Oft reichte der Hinweis darauf, dass etwas von der SED vertreten werde, bereits aus, um jede Diskussion im Keim zu ersticken. Eine Art formierte Gesellschaft, in der alle das gleiche sagen sollten, schien manchmal das Ziel, eine Art "Anti-DDR". Durchgesetzt werden konnte das natürlich nicht, die Bundesrepublik war immerhin eine Demokratie mit Meinungsfreiheit, aber, wie Knabe selbst am Beispiel Henryk Broders schreibt, diese politische Korrektheit führte nur dazu, dass viele junge Leute sich zu Fans der DDR wandelten. Wer lange genug "Der Wolf kommt" schreit, darf sich nicht wundern, wenn ihm irgendwann niemand mehr zuhört. Und wer versucht, Zeitschriften zu verhindern, einzig weil sie das "Verbrechen" begingen, das DDR Fernsehprogramm abzudrucken (Toto-Lotto-Express), der wird nicht als Verfechter der Meinungsfreiheit berühmt.

Tatsache bleibt aber, dass die Stasi mit großem Aufwand versuchte, das DDR Bild im Westen positiv zu gestalten und zahlreiche IMs und Aktionen zu diesem Zwecke startete. Kaum eine westdeutsche Redaktion, die nicht ausgespäht wurde, selbst absolut bedeutungslose Gruppen und Blättchen durften sich berechtigte Hoffnungen machen, mit eigenen Akten im Osten verewigt zu werden. Wer nach Meinung der Stasi zu "den fortschrittlichen Kräften" gehörte, wurde belohnt, wer "den feindlichen Kräften" angehörte, bekam Einreiseverbot, wurde umfangreich bespitzelt und oft genug wurde versucht, mit Falschmeldungen, Gerüchten, Denunziationen die "Feinde" zu desavouieren.

Bleibt natürlich die Frage: Hat es der DDR wirklich genutzt? Denn die Tatsache, dass tausende von Mitarbeitern angesetzt wurden, heißt noch lange nicht, dass die Einflussnahme Erfolg hatten. Die Stasi setzte ebenfalls tausende von IM gegen die Opposition in der DDR ein, die sich seit Anfang der Achtziger Jahre zu formieren begann, manche mecklenburgische Oppositionsgruppe hätte es ohne Stasi-Im gar nicht gegeben, wie man nach der Wende entsetzt feststellte, selbst Ehepartner spähten einander aus. Den Zusammenbruch der DDR hat es nicht verhindern können. Die Fernsteuerung durch Geheimdienste ist nicht so leicht, wie mancher glaubt, die Geschichte der V-Männer in der NPD zeigt das im Moment einmal wieder.

Unbestritten ist, dass die DDR in den Siebzigern und Achtzigern nicht mehr die schlechte Presse hatte wie in den Fünfzigern. Sie war nur noch eine Diktatur unter vielen und oft wurde sie hofiert, wenn man sich Vorteile erhoffte. Wie man heute weiß, geschah gleiches auch mit manch anderer Diktatur, durch den arabischen Frühling wissen wir, wie Gaddafi und Mubarak vom Westen umworben wurden.

Aber anders als Knabe behauptet, war die DDR auch in den Siebziger und Achtziger Jahren keineswegs umumstritten. Ihre Aktionen sorgten regelmäßig für negatives Aufsehen in der BUndesrepublik, Bücher von Dissidenten wie Havemann und Bahro wurden im Westen Bestseller und die Friedensgruppen im Osten wurden von der Friedensbewegung im Westen unterstützt. Das Buch zeigt auch, wie gerade die TAZ diesen Gruppen ein Podium bot und die DDR es sich nicht mehr wie in den Fünfzigern leisten konnte, jeden Mißliebigen einfach für Jahre wegzusperren und gar zu foltern.

So umfassend seine Belege sind, so sehr erliegt der Autor aber auch der Faszination seines Gegenstandes. Die Stasi hat einen Nimbus von Allmacht und Allwissenheit. Allerdings zeigt das Buch in den beiden letzten Kapitel einmal über den Springerkonzern zum anderen über die Taz, dass so manches, was sich in Stasi Akten findet, mit Vorsicht zu genießen ist. Die Autoren der Taz würden sich mit Neofaschisten treffen, oder allerlei fragwürdiges über Axel Springer gehören hierher.

Knabe übernimmt (außer in den Springer/Taz Kapiteln) aber alle Meldungen der Stasi. Dabei wäre ein wenig Vorsicht da geboten. Dass die Berichte von Zeitzeugen nicht ungeprüft übernommen werden können, ist eine der wichtigsten Grundsätze der historischen Wissenschaft. Auch ist nicht alles, was die Stasi so als eigene Erfindung ausgibt, unbedingt auf ihrem Mist gewachsen. Die Parole "Enteignet Springer", die Antispringer Kampagne 1967/68 alles von der Stasi ferngesteuert? Ich bezweifle das, das Klima zwischen Springer Blättern und studentische APO war damals so gründlich vermint, dass es wohl kaum der STASI bedurfte. Auch wenn diese natürlich versuchte, diese Kampagne in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Überhaupt würde ich empfehlen, Markus Wolf und Co den Nimbus des strahlenden Erfolgsspions nicht zu glauben. So manche Kampagne der Stasi scheiterte wegen der Bretter vor dem Kopf, die ihr ihre Ideologie anlegte. Prominentes Beispiel war Konkret, die Studentenzeitung, die erst von der Stasi mit viel Geld und wenig Effekt gesponsort wurde. Ein Käsblatt, dessen Auflage gering blieb. Als Konkret sich dann (laut Stasi) zu einer "politisch pornografischen Zeitschrift" wandelte, stellte die DDr die Zahlungen ein. Konkret musste sich jetzt um Leser bemühen und wurde, frei von der Stasi Leine gelassen, zu einem wirklich einflussreichen Blatt. Die Redaktion übernahm zwar noch DDR Material, wenn es ihr ins Konzept passte, aber die Zeiten, in denen sie auf Ostberlin hörte, waren vorbei.

Einzig die NS Vergangenheit westdeutschter Politiker war ein Gebiet, in dem DDR Material wirklich erfolgreich wurde. Zahlreiche NS Akten schlummerten in der DDR, die diese aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich machte, sondern nur, wenn es opportun war, einzelne bekannt machte, nicht ohne sie vorher zu bearbeiten. Prominentestes Ziel war der damalige Bundespräsident Lübke, dem mit bearbeitetem Material erfolgreich vorgeworfen wurde, KZ Gebäude geplant zu haben. Andere Akten waren allerdings keine Erfindung der Stasi, auch wenn Knabe das behauptet. Dass Filbinger als Marinerichter Todesurteile unterzeichnete, von denen er später behauptete, dass es sie nie gegeben habe, ist keine Stasi Erfindung und dass Knabe dies behauptet und ihn zum "Widerstandskämpfer" stilisiert, hinterlässt ein schales Gefühl.

Insofern zweifle ich das Statement des Buches doch sehr an. Denn während die Politik der Fünfziger Jahre auf Konfrontation setzte, barg die Entspannung für die DDR Gefahren, weswegen in den Sechziger Jahren Versuche in diese Richtung von der Staatsführung oft abgeblockt wurden, auch das dokumentiert Knabe.

Insofern wäre es sicher nötig, mehr Quellen außerhalb der Stasi Unterlagen hinzuzuziehen, was aber den Rahmen dieses Buches gesprengt hätte. Trotz all meiner Bedenken, die ich hier etwas sehr ausführlich dargelegt habe, ein lesenswertes Buch. Hoffen wir, dass es der Ullstein Verlag baldmöglichst wieder auflegt, im Moment ist es nur als Resteexemplar erhältlich

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