Ausbruch. Kriminalroman.
Dominique Manotti, Argument, März 2014

Ausbruch

Filippo ist ein Kleinkrimineller in Rom. Im Gefängnis teilt er seine Zelle mit dem berühmten Carlo, berühmt, weil er in den Siebzigern ein Führer der terroristischen roten Brigaden in Italien war. Dessen Erzählungen faszinieren Filippo und als Carlo aus dem Gefängnis ausbricht, schließt sich ihm Filippo kurzentschlossen an.

Doch Carlo hält nichts von dem Taschendieb, er trennt sich von ihm und nennt ihm nur eine Adresse in Paris, falls er aus Italien flüchten müsse.

Einen Monat später wird Carlo bei einem mißglückten Banküberfall getötet. Die Polizei und die Zeitungen verdächtigen Filippo, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein und er flieht nach Paris, zu der Adresse, die ihm Carlo gegeben hat: Eine ehemalige Freundin von Carlo. Sie versorgt ihn mit einer Wohnung und einer Nachtwächterstelle, doch ansonsten interessiert sie sich auch nicht mehr als Carlo für Filippo.

Der ist frustriert. Carlo hat ihm die Kämpfe Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger in Italien so farbenprächtig geschildert, er hat davon geträumt, mitzukämpfen, doch jetzt sitzt er in einem Kabuff in einem Hochhaus und beobachtet die Monitore, damit sich niemand nachts in das Gebäude stiehlt.

So beginnt er zu schreiben. Die Geschichte von Filippo und Carlo, wie er sie gerne erlebt hätte. Zwei Freunde, die jeder Gefahr trotzen, zwei Robin Hoods, die zusammenstehen, in guten und in bösen Tagen und nur der Verrat kann sie trennen. Den Bankraub (oder das, was er darüber gelesen hat), baut er geschickt in die Geschichte ein. Er will damit seine Vermieterin beeindrucken, ebenfalls eine politische Italienerin, die aus Italien floh, die ihm aber nicht die Aufmerksamkeit schenkt, die er sich wünscht.

Die Vermieterin ist begeistert und vermittelt ihn an einen Verlag. Und das Verhängnis nimmt seinen Lauf, der Verlag veröffentlicht das Buch, für die Kulturredakteure ist es ein gefundenes Fressen, genau die Geschichte, die sie sich ebenfalls erträumen. Natürlich sind alle überzeugt, es sei autobiografisch.

Leider stößt das Buch nicht überall auf freundliche Aufnahme. Da ist die Ex von Carlo, die immer noch ihren alten Träumen nachtrauert und eifersüchtig ist, dass jetzt ein hergelaufender Kleinkrimineller das Bild von Carlo, dem Bandenchef malt. Da ist die italienische Polizei, die mit dem Bankraub eigene Pläne verfolgt und die extreme italienische Rechte, die Filippos Buch ebenfalls ausnutzen möchte. So kommt es dazu, dass ...

Nein, das müssen Sie jetzt selbst lesen.

Dominique Manotti hat nicht nur einen spannenden Krimi geschrieben, sie hat auch die Literaturschickeria aufs Korn genommen und die Medien, die Mythen so lieben und sie als "wahre Geschichten" verkaufen. Kein Zweifel, die Autorin kennt diese Szene, die Personen stehen dem Leser lebendig vor Augen, die Geschichte reißt den Leser mit.

Leider ist der Anfang mühselig, die ersten fünfzig Seiten im gleichförmigen Stakkato-Stil geschrieben und die Figuren reden hölzern, immer voll ausformulierte Sätze, die den Duden freuen, den Leser aber nicht. Filippo, der Kleinkriminelle, der kaum lesen und schreiben kann, sagt Sätze, die ihm die Autorin in den Mund legt, die aber nicht zu ihm passen. Und Carlo erzählt so platt, dass ich mich wundere, dass diese steifen politischen Glaubensbekenntnisse Filippo so beeindrucken, dass sie ihn zu seinem Buch beflügeln. Sicher, die radikale, terroristische Linke ist nicht für anschaulichen Stil bekannt, sondern dafür, dass ihre Statements sich so aufregend lasen, wie die neuesten EU-Paragraphen. Aber seitenlange Ergüsse in solchem Stil, mit viel Klischee vermengt, fördern nicht den Lesefluss.

"Carlo erzählte von den bald schon täglichen Versammlungen in seiner Fertigungshalle, in seiner Fabrik, wo jedermann das Wort ergriff und wo jedermanns Wort gleich viel wog, wo man tastend ein kollektives Denken, einen kollektiven Willen entwickelte.
Dann flammte Begeisterung in Carlo auf, wenn er beschrieb, wie sie fasziniert die Macht von Menschen entdeckten, die gemeinsam handeln, und die alle gleich sind."

Leider werden diese Erzählungen nie konkret, die Autorin sagt, wie es war, aber der Leser erlebt es nicht. Außer einmal, wenn Carlo eine Szene mit seinem Großvater schildert. Auch die Ex-Freundin Carlos wird nie richtig lebendig. Was in den Teilen über den Literaturbetrieb, über die Intrigen der italienischen Politik und Gerichte so farbig erzählt wird, fehlt in Szenen über die alten Rotbrigadisten leider weitgehend. Ob das deshalb so ist, weil die Autorin den Buchmarkt und die italienische Politik kennt, die Rotbrigadisten aber nur durch ihre Pamphlete? Ich weiß es nicht.

Möglicherweise ist deshalb mancher Leser versucht, das Buch vielleicht vorzeitig zuzuklappen. Doch "Ausbruch" ist eines der wenigen Bücher, bei denen es sich lohnt, einen nur bedingt spannenden Anfang durchzustehen. Die weitere Geschichte entschädigt für alles, das verspreche ich Ihnen.

Fazit: Holpriger Anfang, der aber bald Fahrt gewinnt und den Leser in eine spannende Geschichte über Mythenbildung und Politik verwickelt.

Interview mit der Autorin


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