Abgehauen. Sachbuch.
Manfred Krug, Ullstein, September 2003
Im November 1976 passierte etwas verblüffendes. Die DDR liess Wolfgang BIermann, einen kritischen Liedermacher, nach Westdeutschland ausreisen. Dort ist er auf ein Konzert der IG Metall eingeladen. Das Konzert wird vom dritten Programm nach Mitternacht übertragen und die DDR ist wütend, hat Biermann doch Kritik an der DDR und vor allem an ihrer Führung geübt. Das geht nun garnicht und das Politbüro beschließt, dass Biermann ausgebürgert wird und nicht zurück darf ins Paradies der Bauern und Arbeiter.
Doch Biermann will zurück. Bald meldet sich Protest gegen den Beschluss, nicht nur in Westdeutschland, selbst in der DDR setzen zwölf Künstler eine (gemäßigte) Protestnote an das Politbüro auf. Bald schließen sich zahlreiche andere an, die DDR Führung möchte das unterbinden und vereinbart mit ihnen ein geheimes Gespräch. Drei hochrangige Politker sprechen mit den zwölfen in der Wohnung von Manfred Krug. Der ist der beliebteste Schauspieler der DDR. Und er tut, was einigen Mut erfordert: Er versteckt ein Tonband und nimmt das Gespräch auf. Dieses Gespräch bildet den ersten Teil des Buches. Wir hören Christa Wolf, Stefan Heym, Jurek Becker und andere, die mit Verve ihre Argumente vorbringen, warum Biermann die Rückkehr erlaubt werden sollte. Und drei Politbürokraten, die eigentlich nur ein Argument haben: Man darf nicht gegen die Partei protestieren, denn das nutzt dem Klassenfeind. Ein Lehrstück, das uns mehr über die DDR verrät und das Denken der Partei, die sich für die Hauptverwaltung ewiger Wahrheiten hielt.
Die Künstler ziehen ihre Protestnote nicht zurück, sie sind auch nicht bereit, diese abzuschwächen. Die Partei belegt sie mit Veröffentlichungsverboten, sie erhalten keine Engagements mehr und viele von ihnen stellen schließlich frustriert Ausreiseanträge wie auch Manfred Krug. Diese Zeit danach, diese Zeit kleiner oder größerer Schikanen durch die allmächtige Partei schildert der zweite Teil des Buches.
Der dritte Teil enthält die Stasi Berichte über Manfred Krug. Ein Nachbar hat sie verfasst.
Wer etwas über die DDR wissen will, darüber, wie deren Machthaber dachten und handelten, erhält hier Anschauungsmaterial. Besser kann man sie kaum charakterisieren und wir müssen Krug danken, dass er den Mut hatte, das Gespräch aufzunehmen.
Ein Lehrstück über Diktatur, über Bürokraten, die glauben, sie dürften, ja müssten alles bestimmen und denen jede auch noch so kleine abweichende Meinung eine Katastrophe erscheint, die man umgehend und mit allen Mitteln unterbinden müsse. Dass auch die CDU die Übertragung im Fernsehen unterbinden wollte (allerdings nicht mit der Begründung, dass BIermann die DDR verunglimpft habe, sondern weil es nicht angehe, Kommunisten Wort und Gesang im Fernsehen zu gestatten) zeigt, dass Politbürokraten überall ähnlich denken. Zum Glück haben sie in der Bundesrepublik nicht die Macht, die sie in der DDR hatte.
Ein Lehrstück, wie lächerlich, aber auch gefährlich, solche Typen sind.
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