Der zweite Tod meines Vaters. Sachbuch.
Michael Buback, Knaur, Oktober 2009

Der zweite Tod meines Vaters

1977 wird Michael Bubacks Vater erschossen. Er war der Generalbundesanwalt und für die RAF Prozesse zuständig. "Der General muss weg" dekredierte die einsitzenden RAF Spitze und die Gefolgsleute draußen gehorchten. Im April 1977 wurde Buback erschossen; drei RAF Mitglieder, Folkerts, Klar und Sonnenberg wurden als Täter verurteilt.

Michael Buback war überzeugt, dass die Mörder gefasst waren.

Dreißig Jahre später ging es um die Begnadigung von Klar und er wurde gebeten dazu einen Artikel für die SZ zu schreiben. Das tat er. Und die Erinnerung kam wieder hoch an Ereignisse, die längst zurückgetreten waren gegenüber den Problemen des Alltags. Vor allem hatte das Gericht nicht feststellen können, welcher der Täter tatsächlich geschossen hatte. Der Sohn beschäftigte sich wieder mit den Ereignissen von damals. Und die Gewissheit, dass die Täter tatsächlich verurteilt worden waren, schwand schnell.

Zu viele Ungereimtheiten tauchten auf. Verena Becker war mit der Tatwaffe wenig später gefasst worden - doch sie wurde nie wegen der Tat angeklagt, es wurde nicht einmal gegen sie ermittelt. Dabei waren die Indizien, die gegen sie sprachen, weit stärker als die, die gegen die verurteilten Täter sprachen.

Schließlich hat der Sohn dazu ein Buch geschrieben. Und ich hatte einen weiten Bogen um das Buch gemacht. Dabei gibt es mittlerweile in meinem Regal mehr als ein Regalbrett mit Büchern zum Thema RAF. Seit ich vor einigen Jahren den Film «Der Baader Meinhof Komplex» im Kino gesehen habe, lässt mich das Thema nicht mehr los. Doch der Sohn eines Opfers, der sich in die Frage, wer geschossen hat, verbeisst? Verständlich, aber das muss ich nicht lesen.

Was für ein Irrtum. Denn Buback schafft es trotz aller Betroffenheit eine erstaunliche Objektivität zu wahren. Dagegen sieht die Bundesanwaltschaft es gar nicht gern, dass der Sohn sich für die Vorgänge von damals interessiert. Akten werden gesperrt, doch trotzdem tauchen ein Fülle von Hinweisen auf, die darauf hindeuten, dass damals nicht korrekt ermittelt wurde. Ich will diese nicht in allen Einzelheiten auflisten, das findet sich alles detailliert im Buch.

Michael Buback hat sich mit pedantischer Akribie hinter die Ereignisse geklemmt, es wundert nicht, dass er manchen Beamten erheblich genervt haben dürfte. Aber er ist immer fair. Er ist überzeugt, dass damals Verena Becker geschossen hat, listet alles auf, was dafür spricht. Aber er notiert auch, was dagegen spricht. Er weiß, wie sehr seine Texte wirken, als wäre er ein Verschwörungstheoretiker und genau deshalb bringt er auch die Fakten, die gegen seine Thesen sprechen - man merkt, dass er Naturwissenschaftler ist und dass er sich müht, ein objektives Bild dessen zu zeichnen, was er weiß. Schon das hebt seine Ausführungen heraus aus vielem, was zur RAF geschrieben wurde und vor allem dazu diente, die eigenen politischen Vorstellungen zu festigen.

Seine Fixierung auf Verena Becker mag manchmal stören - aber abwegig ist sie nicht. Ebensowenig seine Vermutung, dass Becker schon lange vor dem Mord Kontakt zum Verfassungsschutz hatte und deshalb aus den Mordermittlungen herausgehalten wurde. Bei den rechtsradikalen Morden rund um die NSU haben wir das gleiche Phänomen beobachten dürfen: Die Behörden arbeiten mit fragwürden V-Leuten zusammen. Um diese zu schützen, wird manches vertuscht, Akten werden gesperrte und am Schluss ist der Schaden größer als der Nutzen.

Könnte das auch im Falle des Buback Mordes so gewesen sein? Möglich wäre es. Aber ganz überzeugt es mich nicht, weil das eine derartig massive Vertuschung nötig gemacht hätte, weil dazu derart viele hätten eingeweiht werden müssen, dass es kaum so lange hätte geheim gehalten werden können. Das ist meine Meinung.

Zumal es noch einen anderen Grund geben könnte, warum die Bundesanwaltschaft wenig Interesse daran zeigt, wer die wirklichen Täter waren. 1977 stand die sozialliberale Regierung mit dem Rücken zur Wand. Die CDU warf ihr vor, viel zu lasch gegen die RAF vorzugehen, gar selbst zu den Sympathisanten zu gehören. Der Justizminister wollte schnelle Erfolge, die wollte auch die Bundesanwaltschaft, etwas, mit dem man in der Öffentlichkeit punkten konnte. Hauptsache, die RAF Mitglieder kommen hinter Gitter, nur das war wichtig. Nimmt man hinzu, dass die Bundesanwaltschaft wie die meisten Staatsanwaltschaften chronisch unterbesetzt war, so ist es kein Wunder, dass das Interesse, in jedem Einzelfall die wahren Täter zu ermitteln, nicht sehr groß war und alles, was zusätzliche Arbeit und Zeit brauchte, nur störte. Auch das dürfte den Ermittlungen damals nicht gutgetan haben.

Vielleicht waren es beide Gründe: Der Wunsch, eine Verbindungsfrau zu schützen, geheimzuhalten, dass der Verfassungsschutz schon lange Kontakt zu Verena Becker hielt und der Wunsch, möglichst schnell möglichst viele zu verurteilen? Ich weiß, jetzt füge ich den zahlreichen Vermutungen zur RAF eine weitere hinzu, die auch nicht besser bewiesen ist, als andere.

Was bleibt, ist jedenfalls das Unbehagen. Denn damals, 1977, nahm die RAF ihre Begründung schon lange nicht mehr aus dem Vietnamkrieg und der internationalen Solidarität. Sondern aus den Haftbedingungen der RAF-Mitglieder. Nie hatte sie mehr Einfluss, als mit dem Argument von Isolationsfolter, von ungerechten Prozessen und einem Staat, der angeblich über Leichen ging.

Dass dieser Staat zwar nicht über Leichen ging, aber dennoch in Prozessen reichlich fragwürdig argumentierte, stützte natürlich diese Argumentation. Und das ist das Beunruhigende an Bubacks Buch. Weil es zeigt, dass dieser Staat zwar nicht faschistisch war, wie die RAF behauptete, aber dennoch in seinen Ermittlungen nicht nur der Wahrheit verpflichtet. Insofern waren fragwürdige Ermittlungen nur Wasser auf die Mühlen der RAF.

Eben deshalb ist es so nötig, dies jetzt aufzuklären. Und endlich auch die Akten von Verfassungsschutz und anderer Dienste öffentlich zu machen. Die Aktensperrungen, angeblich, um die Bundesrepublik nicht zu gefähren, lassen schließlich nur immer neue Vermutungen aufkeimen, was da wohl alles vertuscht werden soll. Und wenn etwas den Rechtsstaats gefährdet, dann sind es solche Vermutungen.

Seltsam sind auch die neuen Koalitionen, die sich im Prozess gegen Verena Becker zeigen. Die Bundesanwaltschaft scheint es geradezu als ihre Aufgabe zu sehen, Becker zu verteidigen. Und auch die RAF, für die diese Behörde immer «das System», «die Schweine» waren, scheint an der neuen Koalition durchaus interessiert und fördert das Ganze durch Schweigen. Die Wahrheit scheint beiden nicht sehr wichtig zu sein.

Gottseidank haben sich in diesem Fall auch andere ungewöhnliche Koalitionen gebildet, die weit positiver sind. Dass der Sohn des Generalbundesanwaltes einmal in der TAZ schreiben würde, hätte sich vor dreißig Jahren jedenfalls niemand vorstellen können.

Michael Buback muss man für sein Buch und sein Engagement danken. Er mag in einigen Fällen über das Ziel hinausschießen, aber er legt seine Argumente offen dar und versucht zu allen fair zu sein. Damit hat er den Prozess gegen Verena Becker, der jetzt doch stattfindet, möglich gemacht.

Wir müssen uns nicht nur der Vergangenheit stellen. Obendrein zeigen die Parallelen zwischen den RAF und den NSU Ermittlungen, dass wir daraus auch eine Menge lernen können. Die Probleme von Geheimdiensten, deren Quellen und dem Schutz dieser Quellen, dem oft mehr geopfert wird als vertretbar ist, diese Probleme sind schließlich immer noch existent.

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