Bundesbürger im Dienst der DDR-Spionage. Sachbuch.
Georg Herbstritt, Vandenhoek & Ruprecht, 2007
»Dass es heute überhaupt möglich ist, zu einigen fundierten, allgemein gültigen Aussagen über die DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik zu gelangen, ist vor allem den Ermittlungsbehörden und der Justiz zu verdanken. Schon bald nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 leitete die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen Spionage für die DDR ein. Ende der Neunziger Jahre hatte sie in dieser Sache schließlich gegen weit über 7.000 Personen aus beiden Teilen Deutschlands ermittelt, davon waren rund 3.000 Bürger der alten Bundesrepublik (darin eingerechnet stets auch Westberlin). Sie alle standen im Verdacht, als inoffizielle Mitarbeiter (IM), als sogenannte West-IM, für die DDR spioniert zu haben. Rund 500 dieser West-IM wurden im Laufe der neunziger Jahre angeklagt.«
Georg Herbstritt hat sich die Anklage- und Prozessunterlagen der Stasi-IM im Westen vorgenommen, um daraus ein Bild der Westspionage der Stasi zu gewinnen. Da die meisten Orginalunterlagen der HVA geschreddert worden sind und nur die Personenakten und die Listen der übergebenen Materialien existieren, war das eine gute Idee. Denn die Gerichte haben sich meist sehr viel Mühe gegeben, sowohl das Pro und Contra zu ermitteln, haben die Motive der Angeklagten untersucht und versucht Licht in deren Tätigkeiten zu bringen.
Auch wenn der Autor feststellt, dass die West-IM sehr unterschiedliche Personen waren, so konnte er doch einiges gemeinsame feststellen. Im Kapitel „Zur Sozialstruktur des West-IM-Netzes“ legt er zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede über Motive, Berufe und Vorgehensweise der IM offen. Manches überrascht, etwa, dass Erpressung kaum eine Rolle spielte: Agenten, die mit Druck geworben wurden, galten dem MfS als unsichere Kandidaten. Auch die Romeo Methode hatte längst nicht die Bedeutung, die ihr westlichen Medien hatte: Die meisten IM waren Männer und was Frauen und Homosexuelle angeht, pflegten Wolfs Mannen die gängigen Stammtischvorurteile.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich sehr ausführlich mit der Anwerbung von Agenten: Von der Einschleusung von DDR Agenten unter falschem Namen über die Ansprache von West-Reisenden in der DDR bis hin zu Selbstanbietern reichte die Palette.
Im Schlusskapitel untersucht Herbstritt die Erfolge und Niederlagen der Stasi-Spionage. Für mich das wichtigste Kapitel, denn während wir mittlerweile viel über Agenten und Struktur der Stasi wissen, gibt es wenige, die sich damit auseinandergesetzt haben, was die Spionage und Einflussnahme der Stasi tatsächlich bewirkt hat.
Im militärischen und technischen Bereich war sie zweifelsohne sehr wirksam gewesen. Aber im Politischen? Immerhin gibt es in einer freien Gesellschaft eine Unzahl von Zeitungen, Fernsehsender und anderen Medien, die alle an „geheimen“ Informationen aus Parteien und Regierung interessiert sind. Der Inhalt so mancher „geheimen Parteibesprechung“ kann man bereits am nächsten Tag im Spiegel, der Faz oder in der Bild nachlesen. Hätte die DDR eine freie Presse gehabt, dann hätte natürlich auch das „Neue Deutschland“ seine Quellen gehabt, sich daran beteiligt und die DDR Führung hätte sich so manches aufwändige Spionageunternehmen sparen können.
Doch das sind jetzt Spekulationen von mir, Georg Herbstritt hat jedenfalls eine fundierte Untersuchung vorgelegt, die obendrein, obwohl eine Promotion, leicht verständlich ist. Sie ist nicht nur für das Verständnis der Stasi wichtig, sie sagt auch einiges über Geheimdienste allgemein aus. Spätestens seit den Pentagon Papieren wissen wir, dass auch der CIA sich nicht auf die militärische Aufklärung beschränkte, sondern mit Desinformationskampagnen und Rufmord auf die amerikanische Innenpolitik Einfluss zu nehmen.
Gegenüber Hubertus Knabes Büchern bietet Herbstritt den Vorteil der genaueren wissenschaftlicheren Untersuchung, anders als bei Knabe ist Herbstritts Buch auch nicht darauf aus, die eigene, politisch korrekte Meinung zu beweisen.
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