Radikal. Thriller.
Yassin Musharabash, KiWi, 2011

Radikal

»Niklas Weissenthal war das Produkt einer langen Serie fehlgeschlagener Erziehungsversuche, und er wusste das selbst am besten. Es war 9 Uhr 27 am Montag und Niklas hätte eigentlich in der zweiten Reihe des Raumes 25 sitzen müssen um den Ausführungen von Hartmut Blohm zu folgen, bis zu den Abiturprüfungen waren es schließlich nur noch wenige Monate. Doch statt im Grundkurs Mathematik saß Niklas Weissenthal in seinem Zimmer, genauer gesagt an seinem Schreibtisch. [...]
Zwei der drei Türen des Kleiderschrankes wiesen Grafitti sowie Spuren nackter Gewalt auf. Die Tür, die vom Flur der Altbauwohnung in Niklas Zimmer führte, war durch eine Metallkette gesichert – von innen. Auch die Tür war mehr als einmal eingetreten worden, von beiden Richtungen.«

Niklas Weissenthal ist ein Genie in Chemie. Und kann Sprengstoff herstellen. Den hat er verkauft und jetzt ein schlechtes Gewissen. Denn Lutfi Latif ist bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben gekommen. Lutfi war ein charismatischer Politiker und Journalist, einer, der zwei Kulturen in sich vereinigte: Die ägyptische und die deutsche. Dass er außerdem für den Islam eintrat und zwar für einen, der mit Al Qaida nicht zu tun hat, mißfiel sowohl den Hardcore-Muslimen wie den Islamhassern. Beide hatten ihn mit Drohmails überschüttet. In den entsprechenden Foren im Internet kochte die Wut.

Hat einer der Radikalen dort den Worten Taten folgen lassen? Eine Al Qaida Gruppe bekennt sich zu dem Anschlag, aber gibt es diese Gruppe überhaupt? Und falls ja, wer sind die Mitglieder?

Sumaya war Latifs Assistentin. Auch sie steht zwischen den Kulturen. Und da ist Samson, eigentlich heißt er Samuel, der im Auftrag von Zeitungen und anderen im Internet ermittelt. Unter radikalen Moslems und radikalen Moslem-Hassern. Dabei stößt er auf ein Kommando Karl Martell, das Europa vor dem Islam retten will, mit Prominenten Diskussionszirkeln organisiert. Doch scheint es neben den öffentlichen Treffen noch andere zu geben und Samson beschließt ...

Yassin Musharabash kennt sich wie sein Held Samson in den Foren der Islamisten und Islamhasser aus, lässt die Teilnehmer lebendig werden. Der Leser versteht, wie sich so mancher radikalisiert hat, fast könnte man mit ihnen Mitleid haben. Mit dem jungen Computerfreak, dem die Polizei die Computer zwecks Überprüfung wegnimmt und der sich deswegen vom Nerd zum Islamisten wandelt. Mit der jungen Deutschen, die einen Araber heiratet, der sie, als er zum Islamisten wird, prügelt und so dafür sorgt, dass sie sich den Islamhassern anschließt. Denn beide Seiten schaukeln sich hoch – und ab und zu flippt einer aus und lässt den radikalen Worten noch radikalere Taten folgen.

Auf diesem Hintergrund baut Musharabash seine Geschichte auf, die umso erschreckender wird, wenn man sich vor Augen hält, dass kurz nach dem Erscheinen des Buches tatsächlich in Oslo ein Breivik mit den Argumenten der Anti-Islam Seiten Massenmord gerechtfertigt hat – so wie es in Musharabashs Buch ebenfalls geschieht. Und eine Sauerlandzelle tatsächlich Sprengstoff hortete.

Ein spannender Thriller, den der Leser verschlingt, viel Hintergrundwissen und eine Menge zum Nachdenken – was kann man von einem Buch mehr verlangen?

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