Generation Allah. Sachbuch.
Ahmad Mansour, S.Fischer, November 2015
»In jüngster Zeit häuften sich offen antisemitische Äußerungen bei den Jugendlichen. Mit Entsetzen hatte die Sozialarbeiterin erlebt, wie Jugendliche die Nachricht von Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Europa regelrecht beklatschten. Und auch wenn die Anwesenheit von Mädchen im Treff an sich normal sei, tauchten jetzt bei männlichen und sogar bei weiblichen Besuchern immer öfter fragwürdige Rollenzuweisungen zwischen den Geschlechtern auf. 'Bedecke dich, Schwester, bevor du auf ewig zur Nahrung für das Höllenfeuer wirst.' Solche und ähnliche Mahnungen waren plötzlich zu hören.«
Ahmad Mansour ist arabischer Israeli und hat selbst erlebt, wie man in den radikalen Islam hineinrutscht. Wie die Salafisten Jugendliche verführen. Jetzt will er dem vorbeugen und hält in Deutschland Workshops ab, berät Eltern, deren Kinder in islamistische Gruppen geraten oder gar nach Syrien in den Kampf für den IS ziehen wollen.
Dieses Buch will dem Leser vermitteln, was denn so faszinierend daran ist. Und zeigen, dass wir viel früher reagieren müssen, denn die Salafisten schotten sich ab. Ist ein Kind erst einmal in diese Kreise geraten, bricht es die Kontakte zum Elternhaus ab (selbst wenn die Eltern Muslime sind) und alles, was diese Gruppe und deren Glauben in Frage stellt, ist "haram" - unrein, unzulässig. Jeder Zweifel, jede Frage ist bereits des Teufels.
Doch warum geraten Jugendliche dann in derartig abgeschottete Gruppen?
Die Salafisten sind die besseren Sozialarbeiter, sagt der Autor. Sie können die Jugendlichen ansprechen, nehmen sie ernst, reden auf Augenhöhe mit ihnen. Laden sie unverbindlich in die Moschee ein, zu den radikalen Predigern, die Saudiarabien aussendet. Die Jugendliche begeistern können, ihnen eine Aufgabe geben.
Und alle Sünden werden dir vergeben, wenn du umkehrst, Bruder. Gerade Jugendliche, die Drogen und Alkohol mißbraucht haben, bietet das eine attraktive Möglichkeit der Umkehr. Die Prediger docken außerdem an ein strenggläubiges Islamverständnis an, das viele dieser Jugendliche im Elternhaus erlebt haben. Die festen Regeln bieten Halt in einer Zeit, in der viele unsicher sind. Und die Zahl der Salafisten steigt kontinuierlich, ebenso die derjenigen, die als Djihadisten nach Syrien ziehen. Der Djihadismus ist mitten in unserer Gesellschaft angekommen und spricht auch viele Jugendliche an, die gar nicht aus muslimischen Familien stammen. Ein junger Mensch, der vorher kaum Anerkennung erfahren hat, findet sich nun in sicheren Strukturen wieder, in denen ihm Achtung und ein Versprechen von Macht eingeflüstert werden.
Dagegen ist die Gesellschaft mit den Bedürfnissen dieser Jugendlichen überfordert. Sie versteht häufig die Psychologie dahinter nicht.
Religion ist bei den Salafisten nicht nur eine identitätsstiftende Größe, sie ist ein unantastbarer heiliger Gral geworden.
Lehrer und Sozialarbeiter sind oft hilflos. Sie "haben es satt, von einer Fortbildungsveranstaltung zur nächsten geschickt zu werden. Sie haben Veranstaltungen besucht, auf denen furchtbar viel geredet und Flipchart nach Flipchart vollgeschrieben wird mit Phrasen, die ihnen helfen sollen, die Jugendlichen vom Pfad der Radikalisierung abzuhalten."
Die Politik bezuschusst solche Veranstaltungen. Aber selten wird nachkontrolliert, ob sie auch tatsächlich hilfreich sind. Mittlerweile gibt es eine Workshop-Mafia, die weiß, wie man die Anträge formulieren muss, damit Politiker bereit sind, die Zuschusstöpfe zu öffnen. Aber Predigten, dass der Islamismus furchtbar schlecht sei, bringen die Jugendlichen nicht zurück. Und ein festgefahrenes "Wir - Ihr" Schema erst recht nicht.
Sind wir also machtlos?
Nein, meint Ahmad Mansour. Er hat selbst eine Islamisierungsphase durchgemacht und dieses starre Gedankengebäude überwunden. Man muss Jugendliche reden lassen, Fragen stellen, das feste Freund-Feind Denken ins Wanken bringen. Zeigen, dass Fragen weiterhelfen. Denn die Radikalen arbeiten nach der Methode: "Der Islam ist die Wahrheit", sagt Pierre Vogel, ein Konvertit, und dass man dieser Wahrheit folgen müsse. Fragen kommen dort nicht vor, Zweifel erst recht nicht.
Ich will hier nicht alles wiederholen, was Ahmad Mansour über die Generation Allah sagt. Das müssen Sie schon selbst lesen und das sollten Sie auch.
Aber noch ein paar Gedanken über das Thema hinaus. Feind-Freund Schemata gibt es auch anderswo. Ebenso die Weigerung, Fragen zuzulassen, festgefügte Gedankengebäude und jeder, der Fragen stellt, ist der Feind. Die Medien verbreiten nur Lügen, wir sind die Opfer. Pegida und die zahlreichen Anti-islamischen Gruppen im Internet funktionieren nach genau dem gleichen Schema. Auch dort weigert man sich, mit "Ungläubigen" (=Lügenpresse) zu reden, auch dort ist das Freund-Feind Schema beliebt, auch dort können kleinste Anlässe zu wütenden Protesten führen, etwa ein Adventskalender mit dem Namen "1001 Nacht".
Und schaut man sich die Vertreter der "Islamophobie" Theorie an, so stellt man fest, dass dort ebenfalls jeder Kontakt mit "Ungläubigen" am besten zu verhindern sei. Mittlerweile gibt es Computerprogramme, mit deren Hilfe man feststellen kann, ob irgendeiner der FB Freunde Freunde hat, die schon mal AfD oder Pegida Seiten gelikt hat. Die Bereitschaft, miteinander zu diskutieren, zu reden, unterschiedliche Meinungen zuzulassen, scheint auch gesamtgesellschaftlich immer mehr auf dem Rückzug begriffen.
Aber gerade das wäre das beste Prophylaxe gegen Radikalisierungen.Hans Peter Roentgen
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