Die Bauchtänzerin. Roman.
Safeta Obhodjas, Culturbooks 2015

Die Bauchtänzerin

»Mein Vater Ivo war in seiner Jugend ein Vagabund. Er hatte keine Ahnung, welcher Nationalität er zugehörte, und verspürte auch kein Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören. Viele Hummeln im Hintern trieben ihn durch die Gegend, sodass er keine Zeit hatte, über seine Herkunft nachzudenken. Das Fotohandwerk erlernte er rein zufällig in der Armee. In einem Zagreber Fotoladen klaute er eine Kamera, und danach begann sein Wanderleben.«

Zwei jungen Frauen wachsen in Bosnien auf. Vildana Mulic liebt Mode und ist eine geniale Näherin, Sandra eine gute Fotografin. Sie leben in einer bosnischen Kleinstadt, beide machen sich selbstständig. Doch die Zeiten sind gegen sie. Jugoslawien zerfällt nach Titos Tod. Die alten kommunistischen Kader und ihre Ideologie verlieren die Macht. Die Kleinstadt, eine Multikulti-Mischung aus bosnischen Muslimen, kroatischen Katholiken, serbischen Orthodoxen, sogar ein deutscher Donauschwabe gehört dazu, löst sich auf. Die kommunistische Ideologie, die die Spannungen und die blutige Geschichte Bosniens mit Parolen übertüncht hatte, zerfällt. Vildanas Bruder glaubt an Europa, das den Bürgerkrieg verhindern werde, ihr Vater an die alten kommunistischen Ideale, andere an die Volksarmee, die Jugoslawien von Hitlers Horden befreit hat. Alle werden sie enttäuscht und ihre Träume zerbrechen an der Wirklichkeit.

Und die beiden Frauen werden in den Strudel gerissen. Wer seine jugoslawischen Dinare nicht sofort umtauscht, hat am Wochenende nur noch wertloses Papier. Jetzt zählt nur noch, wer zu welcher Gruppe und Religion gehört. Die Volksarmee wandelt sich zur serbischen Armee, jede Gruppe pflegt die eigenen Mythen und alles, was dem widerspricht, wird heftigst bekämpft. Neue Parteien werden zugelassen, doch die erhoffte Demokratie bringt nur Chaos.

Safeta Obhodjas führt uns diesen Zerfall vor Augen. Anschaulich lässt sie die Kleinstadt vor unseren Augen entstehen. Nicht der Horror des Bürgerkriegs in Bosnien und Herzegowina ist der Schwerpunkt, sondern die Vorgeschichte. Gut, einfach geschrieben, zieht die Autorin die Leser in den Bann. Dem Buch würde ich viele Leser wünschen, dem Culturbooks Verlag gebührt Dank, dass er dieses Buch herausgebracht hat.

Eigentlich habe ich nur zwei Kritikpunkt. Dass die üblichen Anführungszeichen durch Gedankenstriche ersetzt wurden, erschwert die Lesbarkeit. Und dass das Buch nicht auch als Print erscheint, beschränkt die Leserzahl. Aber in den Zeiten des Print on Demands entschließt sich der Verlag vielleicht doch noch zu einer Druckausgabe?

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