Der Allesverkäufer: Jeff Bezos und das Imperium von Amazon. Sachbuch.
Brad Stone, Campus, Oktober 2013


Der Allesverkäufer

Amazon und sein Gründer Jeff Bezos haben mittlerweile einen fragwürdigen Ruf, schlechte Arbeitsbedingungen, rüde Methoden gegen Geschäftspartner und Konkurrenten haben im letzten Jahr von sich reden gemacht.

Brad Stone hat einen akribischen Report über Amazons Geschichte und die seines Gründers und Leiters vorgelegt von den ersten Anfängen bis heute. Wer schon immer wissen wollte, warum Amazon so groß wurde, der erfährt es hier. So manches Gerücht widerlegt er - etwa die Behauptung, Jeff Bezos habe Wirtschaft studiert oder sei eine Heuschrecke, eben einer der üblichen neoliberalen Wallstreet Boys. Und das Buch zeigt, dass Amazon nicht aufgrund finsterer Mächte groß wurde, sondern wegen seiner Kundenorientierung.

Kurzfristige Profite interessierten Bezos nie, sein Ziel war es, das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt zu schaffen und dazu die alten Fesseln des stationären Handels zu sprengen. Diesem Ziel hat er alles untergeordnet. Sowohl die Beziehung zu seinen Untergebenen wie die zu seinen Geldgebern. Große Rendite hat Amazon nie erwirtschaftet, bis zum Platzen der Dotcom Blase fuhr es Verluste ein. Bezos' Mantra: Wenn wir alles für den Kunden tun, wird es auf lange Sicht auch Profit bringen, klingt ein wenig nach Lenins Versprechen: Wenn wir in ferner Zukunft den Sozialismus aufgebaut haben, werden alle Menschen glücklich sein.

Mit Lenin hat Bezos noch einiges anderes gemeinsam. Ihn auf freies Wochenende anzusprechen, wäre so, als hätte ein Bolschewik Lenin gefragt, wieviel bezahlter Urlaub einem Berufsrevolutionär zustehen würde. Beide verlangten von ihren Mitstreiter absolute Hingabe zur Sache. Und wie Lenin entwickelte Bezos seine eigene Wirtschaftstheorie; "Jeffismus" nennen es ehrfürchtig seine Bewunderer.

Anfänglich hatte Amazon das Charisma, das alle neuen Startups auf junge Softwareingenieure haben. Keine starre Firmenhierarchie, offen für neue Ideen, sich ganz und gar dem großen Projekt widmen. Wer fragt da nach vierzig Stunden Woche, was ist ein freies Wochenende gegen das Glückgefühl, wenn das Programm nachts um drei endlich läuft? Natürlich kann so eine Firmenphilosophie nicht für immer aufrecht erhalten werden, um 2005 sollte Amazon deshalb ernsthafte Probleme bekommen. Auch junge Revolutionäre werden älter und dann werden andere Dinge, wie Familie und Freizeit wichtiger. Viele Mitarbeiter verließen Amazon frustriert, doch genügend andere schwärmen immer noch von der Zeit dort.

Von Anfang an konnte Bezos durch seine Ideen Menschen begeistern. Egal ob es die Buchbranche war oder die zahlreichen andern Geschäftsfelder, in denen sich Amazon nach und nach engagierte, immer war das Ziel, alles anders, alles besser zu machen, den Handel zu revolutionieren und die Digitalisierung dazu zu nutzen, effizienter als die Konkurrenz zu werden.

Leser möchten Bücher in der Hand halten und ein Online Buchversand habe deshalb keine Chancen, wurde ihm anfänglich vorgehalten, später in der Dotcom Blase erklärten ihm Harvard Manager, dass er zwar ein netter Mensch sei, aber seine Firma besser an die Buchhandelskette Barnes und Nobles verkaufen solle, denn gegen die geballte Macht der Kette und Bertelsmann hätte er keine Chance. In beiden Fällen bewies er den Skeptikern das Gegenteil. Amazon, damals ein Zwerg, lernte die Riesen das Fürchten.

Weniger bekannt sind Bezos grandiosen Fehlentscheidungen, "Fieberträume", die er nach den ersten Erfolgen entwickelte. Wahllose Aufkäufe von anderen Firmen erwiesen sich später als riesige Fehlinvestitionen, die Anwerbung klassischer Manager, um der Firma nach der Dotcom Blase Amazon zu mehr Profitabilität zu verhelfen, führte zum Konflikt, weil diese sich nicht in die chaotische Welt junger Software-Ingenieure integrieren liessen. Brad Stone führt eine Fülle solcher Beispiele auf. Doch Amazon überstand alle diese Fehlentscheidungen, weil Bezos anders als viele andere Wirtschaftskapitäne schnell hinzulernen konnte und fähig war, seine Strategie neuen Realitäten anzupassen.

Ursprünglich schätzten die Verlage den neuen Vertriebspartner Amazon. Die großen Buchhandelsketten (Barnes & Nobles in den USA, Thalia & Co in Deutschland) setzten den Verlagen die Daumenschrauben an, verlangten hohe Preisnachlässe, da schien der neue Vertriebspartner nur zu willkommen. Für viele kleinere und mittlere Verlage, die nur schwer in die Buchläden kamen, wurde Amazon zum Retter in der Not. Doch als es mächtiger wurde, griff es zu den gleichen Daumenschrauben wie die Ketten und hatte keine Hemmungen, seinen Partner erbarmungslos große Rabatte abzupressen. Zwar war es bestrebt, jedes, aber auch jedes Buch dem Kunden anzubieten. Aber mit dem Vorschlagswesen, das Kunden bei jedem Buch auch andere Bücher anbot, hatte es ein Druckmittel. Diese "Kunden haben auch gekauft"-Listen gaben kleinen Verlagen Chancen, ihre Bücher in die Öffentlichkeit zu rücken. Genau dies setzte das Unternehmen als Druckmittel ein. Entweder die ruinösen Rabatte akzeptieren und weiter in den Listen erscheinen oder eben ohne einen Platz in den Listen und daraufhin erheblich verminderte Verkäufe, das war die Alternative. Die meisten Verlage beugten sich.

So zeigte sich ab ca 2005, dass der alte Satz: "Macht korrumpiert und totale Macht korrumpiert total" auch auf den neuen Softwaregiganten zutrifft. Brand führt eine Fülle von Beispielen auf, wie Amazon seine Marktmacht gegen die Lieferanten ausspielte, um bessere Einkaufsbedingungen zu erzielen und damit gegen die Konkurrenz mit niedrigeren Preisen zu punkten. In der Wahl der rüden Methoden unterschied es sich nicht von anderen Distributoren.

Bezos Philosophie und Unternehmenspolitik (der sogenannte "Jeffismus") wird in dem Buch ausführlich diskutiert. Ebenfalls sein sehr autoritäter Führungsstil. Wie der Apple Gründer Steve Jobs neigt Bezos zu unkontrollierten Wutausbrüchen, wenn irgendein Untergebener seiner Meinung nach nicht optimal gehandelt hat oder seine Ideen zu konventionell für Bezos Geschmack sind. Andererseits kann eine einzige Kundenbeschwerde als Email dazu führen, dass überprüft wird, was falsch gelaufen ist und mit neuen Ideen kann man bei ihm immer punkten. Das Unternehmen hat eine Fülle neuer Ideen und kundenfreundlicher Strategien eingeführt, von Kundenrezensionen, die auch negative Urteile erlauben über kostenlose Lieferung bis hin zu dem Prime Service.

Über das Privatleben Bezos berichtet das Buch wenig, Bezos schottet das auch ziemlich ab. Verglichen mit den anderen Softwaregründern, von Google über Apple bis zu Facebook erscheint er geradezu "normal". Seine unverkennbare Lache, die die einen vor den Kopf stößt, mit der er aber andere für sich einnehmen konnte - unter anderem seine Frau und erste Investoren - scheint das einzig besondere an dem Menschen Bezos zu sein - sieht man von seinen herausragendem Ideenreichtum ab.

Gegenüber dem etwas älteren Buch [[ASIN:3868814876 Ein Klick: Der Aufstieg von Amazon und Jeff Bezos]] bietet Brands Buch eine sehr viel detaillierte Einsicht, man merkt, dass Brandt sich besser mit Amazon auskennt und weit mehr ehemalige und aktuelle Amazon Mitarbeiter interviewt hat inklusive Jeff Bezos selbst.

Das Buch liest sich leicht, stellenweise wie ein Krimi und bietet eine umfassende Einsicht sowohl in die Struktur der kleinen Software-Startups als auch in die hemdsärmligen Methoden, die heute auf dem Markt herrschen.

Leseprobe

Das Buch bei Amazon

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